Fahrländer Gelände auf Luftbild 1968 - Luftaufnahme des Industriegeländes

Fahrländer Betrieb – Chemische Fabrik und Umweltgeschichte in Maihälden

Die Geschichte des Fahrländer Betriebs in Maihälden - von der chemischen Innovation bis zur Umweltkontamination und umfassenden Sanierung. Erwin Fahrländer entwickelte 1930 ein Patent für Salzbäder zur Metallveredelung.

Fahrländer Betrieb

Die Geschichte des Fahrländer Betriebs in Maihälden - von der chemischen Innovation bis zur Umweltkontamination und umfassenden Sanierung.

Erwin Fahrländer – Chemiker und Erfinder aus Pforzheim

Patent von 1930

Der Name Erwin Fahrländer, Pforzheim, taucht erstmals in internationalen Patentschriften auf. Am 23. Juni 1930 reichte er in den USA ein Patent ein: "Salt Bath for Annealing Metal Articles" (Salzbad zum Glühen von Metallgegenständen, U.S. Patent Nr. 1 906 455, erteilt 1933).

In dieser Erfindung entwickelte Fahrländer eine präzise abgestimmte chemische Rezeptur für Salzschmelzen, die beim Wärmebehandeln von Metallteilen zum Einsatz kommen. Sie bestand aus einer Mischung von Kochsalz, Pottasche (Kaliumcarbonat) und Kaliumsulfat, wobei das Verhältnis von Natrium zu Kalium kleiner als 1 sein musste. Zusätzlich konnte er bis zu 10 % mineralische Alkalioxide, darunter Magnesiumverbindungen, zusetzen, um die Schmelz- und Fließeigenschaften zu optimieren.

Solche Salz- und Oxidbäder dienten in der Metallverarbeitung als kontrollierbare Wärmeübertragungsmedien, etwa beim Anlassen von Werkzeugstählen, Härteverfahren oder Glühen von Präzisionskomponenten – ein Verfahren von hoher Bedeutung für die Pforzheimer Feinmechanik-, Schmuck- und Werkzeugindustrie jener Zeit.

Das Patent zeigt, dass Fahrländer nicht bloß Chemikalienproduzent, sondern angewandter Industriechemiker mit tiefem Prozessverständnis war – Teil jener Generation, die zwischen handwerklicher Metallveredelung und moderner Chemieindustrie vermittelte.

Die Vorgeschichte des Standorts: Von „Dr. Jo Mayer" zur Firma Fahrländer

Industrielle Nutzung ab 1895

Das spätere Fahrländer-Gelände in der Kelterstraße 43 (später Bodelschwinghstraße 4–6) wurde um 1895 zunächst durch die Firma Fettwaren Schmied bebaut.

Ab 1912 übernahm dort die Chemische Fabrik Dr. Jo Mayer die Nutzung. Nach Umbauten 1922 wurde in den Gebäuden die Produktion von "Polierrot", einem feinen Eisenoxid-Poliermittel für Glas und Stahl, aufgenommen – eine typische Pforzheimer Spezialität für metallverarbeitende Betriebe.

Dr. Jo Mayer – Ein Rätsel der Geschichte

Wer genau hinter dieser "Chemischen Fabrik Dr. Jo Mayer" stand, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei klären. Es könnte sich um denselben Dr. Jo Mayer (1870–1940) handeln, der in Wiesbaden die bekannte Apotheke in der Taunusstraße 20 betrieb und dort eine der bedeutendsten pharmaziehistorischen Sammlungen Deutschlands zusammentrug.

Diese Sammlung wurde Anfang der 1930er-Jahre an ein US-Museum verkauft und befindet sich heute in der Smithsonian Institution in Washington D.C. Mayer musste seine Apotheke 1935 – vermutlich aufgrund gesundheitlicher und wirtschaftlicher Schwierigkeiten sowie antisemitischer Repressionen – veräußern. 1940 nahm er sich in Wiesbaden aus Angst vor drohender Verhaftung das Leben.

Chemische Aufbereitung und Lösungsmittelrecycling (1937–1986)

Übernahme durch Erwin Fahrländer

Im Jahr 1937 übernahm Erwin Fahrländer das Grundstück und richtete dort seinen Betrieb ein. Die Firma war über Jahrzehnte hinweg auf die Aufbereitung organischer Lack- und Reinigungsmittel sowie von Altölen spezialisiert. Später kam die Herstellung von Lacken, Verdünnern und Reinigungschemikalien hinzu.

Chlorkohlenwasserstoffe und Kontamination

Mit dem wachsenden Einsatz von Chlorkohlenwasserstoffen (CKW) in der Pforzheimer Metall- und Schmuckindustrie übernahm Fahrländer auch deren Destillation und Wiederverwertung. Bei voller Auslastung wurden täglich 1–2 Tonnen Lösemittel regeneriert – hauptsächlich Trichlorethylen (TRI), oft verunreinigt mit Mineralölbestandteilen.

Der Restschlamm nach der Destillation, der noch rund 1 % CKW enthielt, wurde zunächst in eine Erdgrube gekippt, ab den 1960er-Jahren dann in eine Betongrube. Damals wusste man noch nicht, dass weder Erdreich noch Beton flüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe dauerhaft zurückhalten können.

Über Jahrzehnte konnten diese Stoffe ungehindert in den Untergrund diffundieren und sowohl Boden als auch Grundwasser großflächig kontaminieren.

Neben der Firma Fahrländer existierten auf dem Gelände noch kleinere Betriebe (u. a. Schreinereien und Lackierereien) sowie eine Wohnbaracke. Der Betrieb selbst wurde 1986 eingestellt, die Gebäude in den Folgejahren abgerissen.

Fahrländer Gelände aus der Luft (1968)

Fahrländer Gelände auf Luftbild 1968 - Luftaufnahme des Industriegeländes

Diese Luftaufnahme aus dem Jahr 1968 zeigt das Fahrländer Gelände aus der Vogelperspektive. Man erkennt die industrielle Struktur des Geländes mit den verschiedenen Gebäuden und Anlagen, die für die chemische Produktion genutzt wurden. Das Luftbild dokumentiert die Ausdehnung des kontaminierten Geländes während der aktiven Produktionszeit.

Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg: Landesvermessungsamt Baden-Württemberg: Landesbefliegung Baden-Württemberg 1968 - Luftbilder und digitales Orthophoto, Bestand: EL 68 IX, Bestellsignatur: Staatsarchiv Ludwigsburg EL 68 IX Nr 3711, Titel: Luftbild: Film 2 Bildnr. 427, Laufzeit: 1968, Maßstab: 1 : 12.000

Die Entdeckung der Altlast

Erste Messungen 1985

Erste orientierende Messungen im Frühsommer 1985 zeigten erhöhte Konzentrationen von Trichlorethylen (TRI) und Perchlorethylen (PER) in Boden und Bodenluft.

In den folgenden Jahren wurden 88 Bohrungen sowie Boden-, Bodenluft- und Grundwassermessstellen eingerichtet – die tiefste Bohrung reichte bis 202 m unter Geländeoberkante in den Mittleren Buntsandstein.

Massive Kontamination mit drei Stoffgruppen

Leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) – vor allem TRI und PER

Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW)

Polychlorierte Biphenyle (PCB)

Das Hauptschadenszentrum lag im Lößlehm bis ca. 7 m Tiefe, mit extrem hohen Werten bis 24.000 mg/kg. Die CKW waren durch ihre hohe Flüchtigkeit in allen Bodenschichten bis hin zum Grundwasser nachweisbar.

Fahrländer Betrieb Maihälden 1970er 1980er Jahre - historische Aufnahme des Betriebsgeländes

Diese Aufnahme stammt aus den 1970er/1980er Jahren und zeigt das Fahrländer Betriebsgelände in Maihälden. Die Aufnahme dokumentiert den Zustand des Geländes zu einer Zeit, als die Umweltkontamination noch nicht entdeckt war.

Fahrländer Betrieb Maihälden, 1970er/1980er Jahre

Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen

Erste Sicherungsmaßnahmen 1994

Bereits 1994 wurde der Schadensbereich umzäunt und mit einer speziellen Oberflächenabdichtung versehen, um Regenwasserinfiltration und Gasemissionen zu verhindern.

Ab 1997 begann eine großflächige Bodenluftabsaugung sowie die hydraulische Grundwassersanierung. Das belastete Grundwasser wurde in Brunnen gefördert, gereinigt und wieder eingeleitet; die aufsteigenden Schadgase wurden über Aktivkohlefilter abgeschieden.

Erfolgreiche Sanierungsergebnisse

Bis Ende der 1990er-Jahre konnten etwa 2,5 Tonnen Lösemittel aus dem Untergrund und rund 55 Kilogramm Schadstoffe aus dem Grundwasser entfernt werden.

Die Kernsanierung 2000–2001

Bodensanierung im Unterdruckzelt

Die endgültige Bodensanierung begann im Jahr 2000. In einem abgedichteten Unterdruckzelt wurden rund 60 Großbohrungen mit einem Durchmesser von 1,2 m bis etwa 7 m Tiefe abgeteuft.

Insgesamt wurden 1.078 Tonnen kontaminierte Erde ausgehoben und per Bahn zur thermischen Entsorgung nach Bremen gebracht, wo die Schadstoffe verbrannt wurden.

Sanierungskosten

Die Kosten beliefen sich auf rund 1 Million DM für die eigentliche Sanierung des Kernschadens, die Gesamtkosten inklusive Untersuchungen, Sicherung und Wasseraufbereitung auf etwa 6 Millionen DM.

Bis heute wird der Standort durch Bodenluftabsaugung überwacht und gesichert. 2024 unterstützte das Land Baden-Württemberg erneut mit 42.000 Euro Fördermitteln den laufenden Betrieb dieser Sicherungsmaßnahme.

Rechtliche und betriebliche Nachgeschichte

Die spätere Erwin Fahrländer GmbH war von 1984 bis 2000 im Handelsregister (zunächst Pforzheim, später Mannheim) eingetragen und wurde 1999 aufgelöst, 2000 gelöscht.

Damit endete auch die juristische Existenz des Unternehmens.

Historische Karte

Diese historische Karte von 1898 zeigt das Gelände des Fahrländer Betriebs in seiner ursprünglichen Lage an der Kelterstraße. Die Karte ist mittig auf die Koordinaten des ehemaligen Betriebsgeländes ausgerichtet.

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