Brötzingen Geschichte – Traditionsreicher Stadtteil von Pforzheim
Die Geschichte Brötzingens, eines traditionsreichen Stadtteils im Westen von Pforzheim mit jahrtausendealter Vergangenheit von 2000 v. Chr. bis heute. Vom wohlhabenden Bauerndorf über die Industrialisierung zum modernen Stadtteil mit über 10.000 Einwohnenden.
Inhaltsverzeichnis
Geografie und Lage
Lage und Höhenlage
Brötzingen liegt im Schwemmland der Enz westlich von Pforzheim. Die Höhenlage der Markung Brötzingen reicht von 260 m bis 380 m über N.N.
Die ehemalige Grenze zwischen Pforzheim und Brötzingen ist die heutige Grenzstraße. Die Grenze zu Birkenfeld verläuft mitten durch das Gewerbegebiet Brötzinger Tal.
Gemarkung zur Zeit der Eingemeindung
Zur Zeit der Eingemeindung umfasste Brötzingen 1301 ha. Die Flächenverteilung zeigt die landwirtschaftliche Prägung des Ortes: 574 ha Ackerland, 200 ha Wiesen, 7 ha Weinberge, 391 ha Wald und 102 ha Straßen und bebaute Fläche.
Steinzeit und Römerzeit (2000 v.Chr. - 260 n.Chr.)
Früheste Besiedlung
Die älteste Spur in Brötzingen ist ein Steinbeilfund aus der Steinzeit (circa 2000 vor Chr.). Aus der Römerzeit (90 bis 260 nach Chr.) gibt es so zahlreiche Funde, dass von einer ständigen Besiedelung ausgegangen werden kann ("Altes Schloss").
Merowingerzeitliche Siedlung (6.-7. Jahrhundert)
Merowingerzeitliche Grabfunde
Im heutigen Stadtteil Brötzingen von Pforzheim wurden merowingerzeitliche Grabfunde entdeckt ("Hinter der Kelter/Grimmigweg"). Das Grabfeld liegt nahe der Martinskirche und ist eine von mehreren merowingerzeitlichen Fundstellen in der Region.
Die merowingerzeitlichen Funde aus Brötzingen markieren mit weiteren Funden in Birkenfeld das weiteste Vordringen frühmittelalterlicher Besiedlung zum Nordschwarzwald. Brötzingen war also ein "Vorposten" der Siedlungsexpansion Richtung Gebirge. Es gibt archäologische Hinweise, dass Brötzingen bereits im 6. und 7. Jahrhundert besiedelt war, wobei der Schwerpunkt auf agrarisch geprägtem Siedlungswesen lag.
Erste urkundliche Erwähnung (um 1100)
Ortsname und Bedeutung
Die erste urkundliche Erwähnung fand Brötzingen etwa um 1100, als es unter dem Namen Brotzingen als Schenkung an das Kloster Hirsau kam. Auf der Gemarkung liegen die Wüstungen Arlingen und Tannhof.
Der Ortsname setzt sich aus einem germanischen Personennamen (wahrscheinlich Brozzo) und der Endung -ingen zusammen, was "bei den Angehörigen des Brozzo" bedeuten würde.
Mittelalter und Kirche (13. Jahrhundert)
Kirche St. Martin
Im Hochmittelalter war Brötzingen ein Bauerndorf; Weinbau am Wallberg und fruchtbarer Boden machten das Dorf wohlhabend. Die Kirche St. Martin stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde mehrfach umgebaut; sie hatte seit dem 16. Jahrhundert eine zeitweise wehrhafte Funktion.
Das alte Martinspatrozinium der Pfarrkirche in Brötzingen weist auf eine besondere Rolle für die frühe kirchliche Organisation des oberen Enztals hin. Die Nähe des Grabfelds zur Kirche (nur ca. 300 m entfernt) deutet auf eine zentrale Bedeutung für Bestattungen und kirchliche Strukturen im frühen Mittelalter.
Im 14. Jahrhundert entstand ein Dominikanerinnenkloster, und die Kirche erhielt Schutzbriefe des badischen Markgrafen. Trotz des Drucks der evangelischen Lehre während des Dreißigjährigen Krieges und der Franzosenkriege im 17. Jahrhundert blieb Brötzingen treu zu seinen Traditionen.
Historische Darstellungen
Interaktive historische Karte von 1898
Diese interaktive historische Karte von 1898 zeigt Brötzingen in seiner ursprünglichen Lage. Die Karte ist mittig auf die Koordinaten Brötzingens ausgerichtet. Sie können die Transparenz der historischen Karte anpassen und Hotspots mit historischen Bildern erkunden.
Karte von 1842
Die Karte von 1842 zeigt die Westliche Karl-Friedrich-Straße als zentrale Verbindungsstraße und das Osterfeld als übergreifende Bezeichnung für den Bereich zwischen Brötzingen und Pforzheim. Die Kurze Steige und Lange Steige sowie der Verlauf der heutigen B10 sind bereits erkennbar.
Karte von 1851
Gemarkungsübersicht 1898
Diese detaillierte Karte aus dem Jahr 1898 zeigt Brötzingen vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dokumentiert die ursprüngliche Siedlungsstruktur. Während des Zweiten Weltkriegs blieb Brötzingen beim Luftangriff auf Pforzheim am 23. Februar 1945 vergleichsweise wenig zerstört. Diese Tatsache führte dazu, dass Brötzingen später als "Ersatz-Altstadt" bezeichnet wurde - ein Ort, der die verlorene historische Bausubstanz Pforzheims symbolisch ersetzte.
Neuzeit und Moderne
Naturkatastrophen und Großbrände
1824 und 1851 gab es in Brötzingen nach der Schneeschmelze große Hochwasser. 1868 und zwischen 1900 und 1912 gab es in Brötzingen einige Großbrände. Dadurch entstand ein Wandel der Bebauung von Bauernhöfen zu städtischen Wohnhäusern.
In der Zeit von 1890 bis 1914 kam es in der Gemeinde Brötzingen zu einer Reihe verheerender Brände, die dem Ort den Spitznamen "Brenzlingen" einbrachten. Die Brände wurden durch Fahrlässigkeit, schlechte Brandschutzmaßnahmen und möglicherweise sogar Brandstiftung verursacht.
Industrialisierung
Die Verstädterung nahm ihren Lauf vor allem durch die vielen Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie, wodurch sich die Landwirtschaft immer mehr zur Feierabend-Nebenerwerbstätigkeit wandelte. Nach 1900 war die Hauptstraße schon eine Ladenstraße.
Bahnanschlüsse und Verkehr
Anschluss an die weite Welt fand das Dorf Brötzingen 1868 mit der Eröffnung der Enztalbahn nach Wildbad. Die Nagoldtalbahn nach Calw folgte 1874. Während der Bauzeit wohnten damals 150 italienische Bahnbauarbeiter in Brötzingen. 1900 erhielt Brötzingen noch einen Bahnanschluss nach Ittersbach, eine dampfbetriebene Schmalspurbahn.
1931 erfolgte die Elektrifizierung. 1968 zerstörte ein Tornado die Oberleitungen, woraufhin eine Busverbindung als Ersatz eingerichtet wurde.
Die Eingemeindung nach Pforzheim (1905)
Die Eingemeindung Brötzingens nach Pforzheim am 1. Januar 1905 markierte einen bedeutenden Wendepunkt in der Geschichte des Ortes. Mit über 6000 Einwohnern, 1300 Hektar Grundbesitz und rund 850 Haupt- und Nebengebäuden war Brötzingen zu diesem Zeitpunkt ein beträchtliches Dorf, das seine Selbständigkeit aufgab. Im Volksmund wurde Brötzingen wegen der wiederkehrenden Großbrände auch als "Brenzlingen" bezeichnet, was der Eingemeindung einen gewissen bitter-ironischen Unterton verlieh.
Die Verhandlungen zur Eingemeindung begannen bereits Jahre zuvor. Erste Besprechungen fanden statt, Kommissionen wurden gebildet. Zur allgemeinen Überraschung ergaben sich bei den Verhandlungen keine großen Gegensätze zwischen den beiden Gemeinden. Im Gegensatz zu anderen Eingemeindungen, wie etwa der Vereinigung von Mühlburg mit Karlsruhe, bei der Geldfragen im Vordergrund standen, ging es bei Pforzheim und Brötzingen darum, dass zwei wachsende Gemeinden ihre Entwicklung gemeinsam fortsetzen sollten, insbesondere in Verbindung mit Maschinen und Nebenbahnen auch technisch weitergehen wollten.
Bis Juli 1901 wurde schließlich so weit Einigkeit erzielt, dass die Bürgerversammlung sich für die Eingemeindung aussprach. Die Eingemeindung sollte zum 1. Januar 1905 in Kraft treten. Am 29. April 1904 wurde ein "Einigungsvertrag" verfasst, der die Vereinigung ordnete. Die Bürgerversammlung von Brötzingen nahm den Vertrag mit großer Mehrheit an.
In der Vereinbarung wurde unter anderem festgelegt, dass die Einwohner des Gemarkungsteils Brötzingen – besonders in Bezug auf das Recht des Besitzes der städtischen Schulen – den bisherigen Einwohnern der Stadt Pforzheim gleichgestellt sind. Zudem sollte ein Brötzinger Gemeinderatsmitglied den Beratungen des Bürgerausschusses und Gemeinderats teilnehmen. Die Vereinigung fand unter entsprechenden Schwüren im Beisein der Stadtbevölkerung Pforzheims statt.
Die Eingemeindung bedeutete für viele Brötzingen einen tiefgreifenden Wandel: Vom dörflichen Bürger zum städtischen Einwohner, von der heimatlichen Scholle zur städtischen Gemeinschaft. Eine zeitgenössische Postkarte zur Eingemeindung mit einer Karikatur und dem Text "Der Pfahl ist gefallen, die Schlacht ist aus; für die anderen Beiden kam nichts heraus!" dokumentiert die gemischten Gefühle, die mit diesem historischen Schritt verbunden waren.
Die Eingemeindung markierte das Ende der jahrhundertelangen Selbständigkeit Brötzingens, aber auch den Beginn einer neuen Entwicklungsphase als Stadtteil Pforzheims. Die symbolische Schutgemarkungsgrenze, die jahrzehntelang die Selbständigkeit des Dorfes markiert hatte, wurde damit aufgehoben.
Militärisches Biwak in der Maximilianstraße
Diese Aufnahme zeigt ein militärisches Biwak in der Maximilianstraße in Pforzheim während des Ersten Weltkriegs (vermutlich von 1915). Das Bild dokumentiert die umfangreichen militärischen Aktivitäten in der Stadt, mit zahlreichen Soldaten, Zelten und militärischer Ausrüstung.
Brötzingen 1905 mit Blick auf Maihälden
Brötzingen gegen 1929
Brötzingen in den 1920er Jahren mit grünem Maihälden
Zweiter Weltkrieg und Wiederaufbau
Während des Zweiten Weltkriegs blieb Brötzingen beim Luftangriff auf Pforzheim am 23. Februar 1945 vergleichsweise wenig zerstört und wurde deshalb später als "Ersatz-Altstadt" bezeichnet. Die Aufbaujahre nach 1945 und die umfassenden Sanierungen, besonders in den 1970er Jahren, prägten das heutige Stadtbild.
Der künstlich aufgeschüttete Wallberg, auf dem Trümmer der Stadt abgeladen wurden, dient als Mahnmal für die Kriegsfolgen.
Brötzingen in den 1960er Jahren
Diese Luftbildaufnahme aus den 1960er Jahren zeigt Brötzingen noch vor der umfassenden Stadtteilsanierung der 1970er Jahre. Man sieht hier den historischen Ortskern mit seiner traditionellen Bebauung, wie er sich über Jahrhunderte entwickelt hatte.
Moderne Stadtteilsanierung
1973 begannen die Arbeiten des großen Sanierungsplans des Stadtteils, bei dem ein großes Teilstück des Straßenzugs der Westlichen Karl-Friedrich-Straße abgerissen wurde. Heute ist das die modern gestaltete Fußgängerzone. Die Vollendung des ersten Bauabschnitts wurde 1978 groß gefeiert.
In den 1970er Jahren wurde eine Fußgängerzone eingeweiht, die mit Festivitäten und einem regen Treiben von Menschen begangen wurde. Trotz Regenwetters zog das Ereignis Tausende von Menschen an. Die Einweihung war Teil einer umfassenden städtebaulichen Erneuerung mit Investitionen in Straßen- und Gebäudesanierungen, Verbesserung von Wohnräumen, Schaffung von Arbeitsplätzen, Schulen und Spielplätzen sowie Steigerung der Wohnqualität.
Alt und neu in Brötzingen
Diese Aufnahme zeigt beispielhaft den städtebaulichen Wandel in Brötzingen. Das Nebeneinander von traditioneller Bausubstanz und moderner Architektur dokumentiert die Entwicklung des Stadtteils von einem historischen Bauerndorf zu einem modernen Wohngebiet.
Heutige Situation
Der künstlich aufgeschüttete Wallberg, auf dem Trümmer der Stadt abgeladen wurden, dient als Mahnmal für die Kriegsfolgen. Die Martinskirche wurde profaniert und bildet nun den Kern des Pforzheimer Stadtmuseums.
Brötzingen entwickelte sich damit vom reichen Bauerndorf über die Industrialisierung zum modernen Stadtteil von Pforzheim mit über 10.000 Einwohnenden und einer selbstständigen, facettenreichen Identität.
Quellenverzeichnis
- 1. Damminger, Folke (2002): "Pforzheim: Vom römischen vicus zur markgräflichen Residenz",
in: Acta Praehistorica et Archaeologica, Band 34, S. 243–268.
Universitätsbibliothek Heidelberg, URL: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/apa/article/view/74162
Direkte Fundstelle für Brötzingen siehe Abschnitt zu merowingerzeitlichen Gräberfeldern und Kirchenpatrozinien (u.a. Seite 254 ff, Liste und Karte Abb. 7). - 2. Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe:
Bestand H-1, Gemarkungspläne 1:10.000, H-1 Nr. 241
"Brötzingen (Stkr. Pforzheim)" (Stand 1898, Druck 1903)
Maßstab 1:10.000, Vorsignatur: H 1:10000 Brötzingen 1
Enthält: Gemarkungsübersichtsplan mit Flurnamen und Landparzellen aus dem späten 19. Jahrhundert.
Permalink zum Archiv - 3. Ramp, Gustav; Webel, Oskar (1915-1920): Pforzheim im Weltkrieg, seine Söhne und Helden : Ein Gedenkbuch mit Ehrentaf. d. Opfer u. d. Anteils d. Stadt Pforzheim im Weltkrieg.
Hrsg. von Donatus Weber. Pforzheim : D. Weber, 1915-1920, 550 S. ; 4 : mit Abb., Taf., XII S.
Signatur: O66 C 1
URN: urn:nbn:de:bsz:31-38003
Digitalisierung: Karlsruhe : Badische Landesbibliothek, 2013
Enthält historische Aufnahmen militärischer Aktivitäten in Pforzheim während des Ersten Weltkriegs, einschließlich des Biwaks in der Maximilianstraße (S. 67).
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