Pforzheim Leopoldplatz 2003 - Historisches Zentrum der Stadt

Oberbürgermeister und Bürgermeister Pforzheims seit 1945

Chronologische Darstellung der Führungsgeschichte Pforzheims nach dem Zweiten Weltkrieg – von acht verschiedenen Oberbürgermeistern geprägt, die die Stadt durch Wiederaufbau, wirtschaftliche Transformation und Strukturwandel führten.

Einführung

Die Führungsgeschichte Pforzheims nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von acht verschiedenen Oberbürgermeistern geprägt, die die Stadt durch Wiederaufbau, wirtschaftliche Transformation und Strukturwandel führten.

Chronologie der Oberbürgermeister

Detaillierte Darstellung

1945 (kommissarisch): Wilhelm Becker

Wilhelm Becker (1883–1956) war ein etablierter Pforzheimer Schmuckfabrikant, der am 12. April 1945 durch die französische Militärregierung zum kommissarischen Bürgermeister der zerstörten Stadt ernannt wurde. Dies war eine improvisierte Lösung: Das französische Militär unter Major Pelletier suchte dringend jemanden, der die Verwaltung aufbauen konnte, doch zunächst wollte niemand das Amt übernehmen. Becker, der Auslandserfahrung und Sprachkenntnisse mitbrachte, gab dem Verlangen nach und übernahm die Aufgabe drei Tage vor der endgültigen Einnahme der Stadt durch die Franzosen.

Beckers kurzes Wirken war geprägt von pragmatischen Aufgaben wie der Entnazifizierung: Bereits am 19. Juni 1945 ordnete er an, die Straßenschilder von Adolf-Hitler-Allee und Hermann-Göring-Allee zu entfernen und die früheren Namen wiederherzustellen. Sein Fabrikgebäude war beim Luftangriff vom 23. Februar 1945 völlig zerstört worden. Nach wenigen Monaten trat er von seinem Amt zurück.

1945–1947: Friedrich Adolf Katz

Friedrich Adolf Katz (1893–1956) war ein Bankdirektor mit internationaler Erfahrung. Im Juni 1945 wurde er zunächst zum Landrat des Landkreises Pforzheim ernannt, bevor er am 23. Juli 1945 als Oberbürgermeister der Stadt übernahm. Katz war von komplexer Herkunft: Als „jüdisch versippt" (seine dritte Ehefrau war jüdischer Abstammung) war er 1937 von den NS-Behörden als Bankdirektor abgesetzt worden, kam aber nach 1945 nicht als Profiteur, sondern als sachkundiger Verwaltungsexperte zur Geltung.

Während seiner zweijährigen Amtszeit beschäftigte sich Katz intensiv mit Entnazifizierung, Entmilitarisierung und dem Wiederaufbau der städtischen Infrastruktur. 1948 trat er in den Vorstand der Badischen Bank in Karlsruhe ein; 1953 ging er in den Ruhestand.

1947–1966: Johann Peter Brandenburg – Die Ära des Wiederaufbaus

Johann Peter Brandenburg (1905–1977) ist der prägendste Wiederaufbau-Oberbürgermeister Pforzheims. Der promovierte Jurist und FDP/DVP-Politiker war vor 1945 in der Industrie tätig und kam nach Kriegsende nach Pforzheim. 1946 wurde er stellvertretender Bürgermeister, 1947 zum Oberbürgermeister gewählt.

Zentrale Projekte und Leistungen

Brandenburg prägte das heutige Stadtbild fundamental. Er war Mitglied des Landtags von Württemberg-Baden (1946–1952) und später von Baden-Württemberg (mit Unterbrechungen bis 1976). Von 1960 bis 1968 war er Vizepräsident des Landtags.

Die unter Brandenburg geplante moderne Stadtarchitektur folgte dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt" nach der Charta von Athen. Der Stadtplaner Otto Ernst Schweizer bestimmte den neuen Bebauungsplan maßgeblich mit. Eine neue Sichtachse als Grünzug vom Schlossberg über den Marktplatz zur Enz wurde geschaffen und prägt bis heute das Stadtbild.

Seine Kämpfe im Landtag galten auch der kommunalen Polizei: Er setzte sich vehement für eine städtische statt einer zentral von Stuttgart aus geleiteten Polizei ein, weil er die kommunale Polizei für bürgernäher und effektiver hielt.

Nach seinem Ausscheiden als OB wurde Brandenburg zum Richter am Staatsgerichtshof für Baden-Württemberg ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 1977 innehielt.

1966–1985: Willi Weigelt – SPD und Moderne Infrastruktur

Willi Weigelt (1920–2002) war der einzige Oberbürgermeister Pforzheims, der nicht abgewählt wurde, was seiner stabilen Amtsführung Tribut zollte. Der promovierte Politikwissenschaftler kam 1963 als Erster Bürgermeister nach Pforzheim und wurde am 28. November 1965 mit überraschend starkem Votum (59,93% der Stimmen) zum Oberbürgermeister gewählt – gegen den bis dahin 19 Jahre amtierenden Johann Peter Brandenburg.

Zentrale Projekte und Leistungen

In Weigelts zwei Amtsperioden entstanden die charakterprägenden Gebäude der Stadt:

  • Neues Rathaus (1968–1973) – das brutalistische Flaggschiff-Projekt mit den beeindruckenden Sichtbetonkonstruktionen
  • Stadthalle (heute CongressCentrum Pforzheim)
  • Stadttheater (Neubau)
  • Hauptfeuerwache – auf den Weg gebracht oder fertiggestellt

Bei seiner Wiederwahl 1973 erreichte er 98,63% der Stimmen – ein Vertrauensvotum ohne Gegenkandidaten. Weigelt war 1963–1966 auch Erster Bürgermeister und Baudezernent, was seine Bedeutung für die Stadtentwicklung unterstreicht.

Von 1973 bis 1987 war Weigelt ehrenamtlicher Vorsitzender des Regionalverbands Nordschwarzwald und ab 1970 der Regionalen Planungsgemeinschaft. Nach 50 Jahren Dienst im öffentlichen Dienst trat er 1985 in den Ruhestand. 2002 verstarb er in Pforzheim und wurde in einem Ehrengrab bestattet; ein zentraler Platz trägt heute seinen Namen.

1985–2001: Joachim Becker – Kulturelle und städtische Entwicklung

Joachim Becker (geboren 1942) ist ein Rechtsanwalt und SPD-Politiker, der als persönlicher Referent des Vorgängers Willi Weigelt (1973–1976) fungierte und anschließend Leiter des Rechtsamtes der Stadt war.

Zentrale Projekte und Leistungen

Beckers 16-jährige Amtszeit (1985–2001) war geprägt von Städtepartnerschaften und Kulturprojekten:

  • Neubau der Stadtbibliothek
  • Renaturierung von Enz und Nagold – ambitionierte Umwelt- und Flussgestaltungsprojekte
  • Sanierung des Sedan-Viertels
  • Gründung der Bürgermedaille als Auszeichnung besonders verdienter Mitbürger
  • Neujahrsempfang für die Pforzheimer Bevölkerung als neue Tradition
  • Haus der Landsmannschaften
  • DDR Museum – Eröffnung
  • Eröffnung des Neuen Stadttheaters mit zahlreichen Ausstellungen und Kongressen

Becker war Mitglied wichtiger Gremien des Deutschen Städtetags und der Sparkassenorganisation sowie Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvorsitzender kommunaler Unternehmen. Nach seinem Ausscheiden 2001 war er Rechtsanwalt; bis 2024 war er Vorsitzender der Reuchlin-Gesellschaft und Mitglied des Kuratoriums der Hochschule Pforzheim.

1996 kandidierte Becker erfolglos für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters. Bei seinem 80. Geburtstag 2022 würdigte sein Nachfolger Peter Boch seinen Beitrag zur Stadt: „Sein Wirken prägt das tägliche Leben der Pforzheimerinnen und Pforzheimer bis heute".

2001–2009: Christel Augenstein – Erste weibliche Oberbürgermeisterin

Christel Augenstein (geboren 1949) ist die erste und bislang einzige Frau an der Spitze der Pforzheimer Stadtverwaltung. Sie wurde 2001 zur Oberbürgermeisterin gewählt und war während ihrer Amtszeit das einzige FDP-Mitglied, das in Deutschland eine Großstadt regierte. Ihr Wahlsieg am 20. Mai 2001 mit 53% der Stimmen wurde von ARD und ZDF in den Hauptnachrichten berichtet.

Zentrale Projekte und Leistungen

Augensteins Amtszeit (2001–2009) war von Konsolidierung des städtischen Haushalts geprägt:

  • Neubaugebiet „Tiergarten" – entwickelt über die Konversionsmaßnahme „Buckenbergkaserne"
  • Zweite Auffahrt in das Gebiet „Buckenberg" und vierte Autobahnauffahrt (Autobahnanschluss „Pforzheim-Süd" an der A 8)
  • Teilprivatisierung der Stadtbusse
  • Neubauten von Alfons-Kern-Schule (als Privatinvestorenmodell) und Hilda-Gymnasium
  • Privatisierung des Klinikums – eine kontroverse Entscheidung, die Jahre später zu Kritik führte
  • Gründung der Wirtschaft Stadtmarketing Pforzheim (WSP) zur verbesserten Wirtschaftsförderung
  • Planungsrechtliche Vorbereitungen für Gewerbegebiet Buchbusch
  • Erste Schritte hin zu einem „Innenstadtring" (das Wort „Stadtboulevard" für die Zerrennerstraße tauchte erstmals auf)
  • Personalabbau der Stadtverwaltung durch Fremdvergabe vieler Arbeiten

Bei der Wahl 2009 erreichte sie nur 40,4%, was zur Stichwahl führte, die sie mit 39,6% gegen den SPD-Kandidaten Gert Hager (60,2%) verlor. Die folgende juristische Aufarbeitung ihrer Amtszeit, ein Minus von 56 Millionen Euro (von dem die Stadt später zwei Drittel zurückerstritt), sowie eine anonyme Anzeige gegen sie und die damalige Kämmerin belasteten ihr Vermächtnis.

Trotzdem ist Augenstein laut einem Bericht der Pforzheimer Zeitung „noch immer das einzige Stadtoberhaupt in diesem Jahrhundert, das die Pforzheimer nicht im ersten Wahlgang abwählten" – dies ist statistisch falsch, wurde aber symbolisch gemeint.

2009–2017: Gert Hager – Strukturwandel und Wirtschaftskrise

Gert Hager (geboren 1962) ist ein SPD-Politiker, der von 2003 bis 2009 als Bürgermeister für Schule, Soziales, Kultur und Sport tätig war. Er gewann die Stichwahl 2009 gegen die Amtsinhaberin Christel Augenstein mit 60,2%.

Zentrale Merkmale seiner Amtszeit

Hagers Amtszeit (2009–2017) war geprägt von schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen: Die Stadt kämpfte mit den Folgen des Strukturwandels in der Schmuckindustrie und hoher Arbeitslosigkeit. Während seines Amtsantritts zeigte eine Studie, dass Pforzheim die geringste Dynamik aller baden-württembergischen Kreise aufwies.

Trotz Aufholversuchen gelang es Hager weder, die rote Laterne der Arbeitslosenquote abzulegen. Bei der Wahl am 7. Mai 2017 wurde er bereits im ersten Wahlgang abgewählt: Mit 40,8% unterlag er dem CDU-Kandidaten Peter Boch (51,5%). Nach seiner Niederlage kündigte Hager seinen Rückzug aus der Politik an und machte sich später als Wirtschaftsberater selbstständig.

Seit 2017: Peter Boch – Schuldenabbau und wirtschaftliche Konsolidierung

Peter Boch (geboren 1980) ist ein CDU-Politiker und wurde am 7. Mai 2017 im ersten Wahlgang mit 51,5% zum Oberbürgermeister gewählt. Zuvor war er von 2011 bis 2017 Bürgermeister der Gemeinde Epfendorf (Landkreis Rottweil).

Biografie und Hintergrund

Bochs Karriereweg ist ungewöhnlich: Er absolvierte bereits als Schüler eine klassische Ballettausbildung an der renommierten John Cranko Schule in Stuttgart (1991–1996) und später an der Heinz-Bosl-Stiftung in München (1996–1997). Anschließend wurde er 1998–2001 zum Polizeibeamten ausgebildet und arbeitete bis 2003 bei der Einsatzhundertschaft, später in verschiedenen Positionen bei der Polizei Stuttgart als Sachbearbeiter und im Personenschutz.

Zentrale Projekte und Leistungen

Bochs erste Amtsperiode (2017–2025) war geprägt von Schuldenabbau und Konsolidierung:

  • Abbau von rund 50 Millionen Euro an kommunalen Schulden
  • Senkung der Gewerbe- und Grundsteuer
  • Schaffung von über 1.000 neuen Kinderbetreuungsplätzen
  • Neubau und Sanierung von Bädern
  • Einführung eines kommunalen Ordnungsdienstes und diverse sicherheitspolitische Maßnahmen
  • Diverse Infrastruktur- und Schulinvestitionen

2024 war Boch als erster gewählter Volksvertreter Protagonist des RTL-Formats „Undercover Boss", in dem er sich in Verkleidung dem Arbeitsalltag verschiedener städtischer Beschäftigter aussetzte.

Bei der Oberbürgermeisterwahl am 4. Mai 2025 wurde Boch mit 88,4% der Stimmen wiedergewählt und kann damit in eine zweite Amtszeit starten. Sein Herausforderer Dimitrij Walter (FDP) erhielt nur 10,3%, wobei die Liberalen Pforzheims Boch selbst unterstützten.

In seiner Amtszeit positioniert sich Boch als Wirtschaftsförderer mit dem Credo „Wirtschaftsförderung ist und bleibt für mich Chefsache", wobei er Pforzheim als Oberzentrum mit starken Unternehmen sieht – vom Weltmarktführer über Handwerksbetriebe bis zu Start-ups.

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